Der Aufsichtsrat
Keine Angst vor der Haftung

Keine Angst vor der Haftung

Prof. Dr. Roderich C. Thümmel, LL.M. (Harvard)

Prof. Dr.  Roderich C. Thümmel, LL.M. (Harvard)
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Angst ist selten ein guter Ratgeber. Dies gilt auch für Vorstände und Aufsichtsräte und die von ihnen zu treffenden Entscheidungen. Dennoch ist immer wieder zu beobachten, dass Organe ihr Handeln Absicherungsstrategien unterordnen. Die Befürchtung, für mögliche Misserfolge in Haftung genommen zu werden, wird so gelegentlich zu einem wichtigen Handlungsmotiv. Dies liegt nicht im Interesse des Unternehmens und ist auch nicht geeignet, Innovationen und Wachstum zu fördern.

Damit soll keineswegs dem Eingehen unkalkulierbarer Risiken das Wort geredet werden. Risiken müssen identifiziert, bewertet, eingeordnet und abgewogen werden. Der unternehmerische Alltag ist von Entscheidungen unter Unsicherheit geprägt. Denn nur so lässt sich Zukunft gestalten. Das Eingehen von Risiken ist daher – wenn sie professionell gehandhabt werden – nicht nur zulässig, sondern notwendig.

Es scheint jedoch bei vielen Beteiligten die Vorstellung vorzuherrschen, dass es nicht nur um eine angemessene Abwägung von Risiken für das Unternehmen geht, sondern mehr noch um das Ausschalten persönlicher Risiken. Dies zeigt sich daran, dass Vorstände oft dazu neigen, zu jeder Detailfrage eines größeren Projekts Gutachten von Beratern einzuholen, die die Unbedenklichkeit des Vorstandshandelns bescheinigen sollen. Auf der Ebene des Aufsichtsrats ergibt sich ein ähnliches Bild, vor allem wenn es um die Frage geht, ob Vorstände wegen vermeintlicher Pflichtverletzungen in Anspruch genommen werden sollen. Auch dann spielen Gutachten eine wesentliche Rolle. Dieser Wunsch nach größtmöglicher Absicherung birgt die Gefahr, dass Entscheidungen auf externe Berater verlagert werden und das autonome Judgment der Organmitglieder auf der Strecke bleibt. In aller Regel sind die Haftungsrisiken von Vorständen und Aufsichtsräten jedoch überschaubar, wenn ein paar Grundregeln eingehalten werden.

Die erste Grundregel lautet, sich regelkonform zu verhalten. Hierzu gehört im Kern, Bestimmungen des Aktienrechts, des Binnenrechts des Unternehmens (Satzung, Geschäftsordnung etc.) und sonstige anwendbare Regelwerke zur Kenntnis zu nehmen und zu beachten und insbesondere den eingeräumten Kompetenzrahmen nicht zu überschreiten. Dies ist typischerweise nicht allzu schwer. In Sondersituationen, so etwa bei nahender Insolvenz, bedarf es natürlich auch der passenden Beratung, um die Spielregeln auf ungewohntem Terrain zu verstehen.

Die zweite Grundregel geht dahin, die Aufgaben in der arbeitsteiligen Organisation eines Unternehmens sachgerecht zu delegieren und für eine Organisation Sorge zu tragen, die eine angemessene Aufgabenerfüllung sicherstellt. Hier geht es vor allem um Klarheit und Transparenz. Aufgabenzuweisungen müssen klar konturiert sein, die Qualifikationen der betroffenen Mitarbeiter müssen passen und ein sachgerechter Kontrollmechanismus muss etabliert sein.

Die dritte Grundregel betrifft den wichtigsten Bereich, nämlich unternehmerische Entscheidungen. Hier geht es um Maßnahmen innerhalb des Unternehmens (z.B. Personal- und Organisationsentscheidungen), vor allem aber um Entscheidungen im Außenverhältnis, also Geschäftsabschlüsse aller Art. Die Anforderung der Business Judgment Rule geht dahin, dass für die jeweilige Entscheidung eine angemessene Informationsgrundlage geschaffen und auf dieser Basis unter Abwägung aller Gesichtspunkte im besten Interesse des Unternehmens entschieden wird. Dabei sind nicht zu jedem Informationsbestandteil Gutachten erforderlich. Je nach Bedeutung der Entscheidung für das Unternehmen darf sich das Organ auch auf die Ermittlungen fachkundiger Mitarbeiter und auf die eigene Expertise verlassen. Je größer die finanziellen Auswirkungen der Entscheidung, umso mehr wird man allerdings auch externen Rat einbeziehen (z.B. im Rahmen der Due Diligence bei Transaktionen).

Insgesamt lautet also die Botschaft: Die persönliche Haftung ist (natürlich) ein Risiko für Vorstände und Aufsichtsräte. Das Risiko ist aber beherrschbar, wenn bestimmte Grundregeln beachtet werden. Zur weiteren Beruhigung dient die D&O-Versicherung des Unternehmens, die allerdings eine ausreichende Deckungssumme aufweisen sollte. Jedenfalls besteht kein Anlass, möglichen Haftungsrisiken dominierenden Einfluss auf Entscheidungen zu geben. Insoweit gilt stattdessen: Mut zum (Rest-)Risiko!