Der Aufsichtsrat
Führungspersonal gesucht

Führungspersonal gesucht

Univ.-Prof. (em.) Dr. Dr. Manuel R. Theisen

Univ.-Prof. (em.) Dr. Dr.  Manuel R. Theisen
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Was hatten ein DAX-Vorstandsmitglied und eine Lufthansa-Stewardess lange Zeit gemeinsam? Sie hatten beide Traumberufe, bei denen man sich anstrengen musste, um eine solche Position zu bekommen – und die ein Leben lang Neider generierte, nicht zuletzt auch der Aura wegen, die die beiden durchaus öffentlichkeitswirksamen Tätigkeiten umgab. Aber die Welt ändert sich: Das fliegende Servicepersonal rückt nach eigener, oft aber auch objektiver Wahrnehmung vielfach in die Nähe von Biergarten-Kellnerinnen. Und bei den potenziellen DAX-Vorständen sinkt seit geraumer Zeit das Angebot zumindest national schneller, als das britische Pfund brexitbedingt abrutscht.

Die letztere Misere hat allerdings bereits eine schon recht nachhaltige Anlaufphase: Wer erinnert sich nicht noch an die monatelange Diskussion um die (dringend gebotene) Abberufung des Deutsche Börse AG-Vorstandsvorsitzenden? Sehr schnell konnten Außenstehende vermuten, dass weniger der fällige Abgang als die (vergebliche) Suche nach einem Nachfolger das Besetzungsthema zu lange auf dem Spielplan hielt. Bei dem vorvorletzten Führungswechsel bei der Deutsche Bank AG schien eine Doppelspitze, der Klassiker unter den Konstellationen programmierten Führungsversagens, das zunächst rettende Ablösungsmanöver. Die bald darauf (wieder) fällige Neubesetzung erfolgte aus den Reihen des Aufsichtsrats und der (zunächst) letzte Wechsel führte, nach sehr langer vergeblicher externer Suche, zu einer internen Lösung, die nicht gerade als kongeniale Idee und erste Wahl wahrgenommen wurde. Von vergleichbaren Szenarien beim VW-Konzern ganz zu schweigen; dessen selbstgestrickte familiengelenkte und politisch kolorierte Corporate Governance aber erschwert eine rechtliche Analyse. Und zuletzt musste die staunende Öffentlichkeit eine Doppelvakanz bei Vorstand und Aufsichtsrat der ThyssenKrupp AG zur Kenntnis nehmen, eine Novität auf höchster Führungs- und Überwachungsebene.

Die Personalverantwortung in den angesprochenen (und einer umfassenden Reihe weiterer) Fälle liegt ausnahmslos bei dem jeweiligen Aufsichtsrat der Gesellschaften. Nach einer der zahlreichen akzeptierten, aber nur selten wirklich gelebten DCGK-Empfehlungen hat der Aufsichtsrat „gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung (zu) sorgen“ (jetzt B.2 E-DCGK 2019). Zumindest lässt die Ex-post-Betrachtung in den zitierten Fällen berechtigte Zweifel aufkommen, dass in den Unternehmen dieser zwingenden DCGK-Empfehlung auch nur im Ansatz nachgekommen wurde.

Die Besetzungsschwierigkeiten sind aber vermutlich nicht nur fehlender Weitsicht und Planung geschuldet, sondern einem Problem, das man als anhaltende Angebotsschwäche bezeichnen muss: Ungeachtet der diskutierten „Managervergütungs-Exzesse“ sowie des nachhaltigen wie vielfältigen Bemühens um eine Haftungsbeschränkung für das Führungs- und Überwachungspersonal stehen die Bewerber und Bewerberinnen erkennbar nicht Schlange vor den Büros der Personalausschüsse und den Kontoren der diese hilfreich unterstützenden nationalen wie internationalen Personalberater. Tatsächlich hat sich die durchschnittliche Verweildauer auf den DAX-Vorstandsetagen in den letzten zehn Jahren fast halbiert und die öffentliche Diskussion über Fehl- und Schlechtleistungen unserer höchstrangigen Manager tragen kaum zu einem breitflächigen Reputationsgewinn und einem neuen Angebotsboom bei.

Die Analyse dieser Situation aber muss im Detail den verantwortlichen Aufsichtsräten überantwortet bleiben. Der gesamte Aufsichtsrat trägt die Personalkompetenz und Verantwortung. Vakanzen ebenso wie Nachbesetzungen müssen zuallererst ihm auf die Füße fallen. Und der jeweilige Aufsichtsratsvorsitzende muss dazu die Initiative und Führung übernehmen.

Diese Verantwortung und Kompetenz setzt allerdings voraus, dass er nicht nur hinreichend unabhängig vom amtierenden Vorstand und dessen Vorsitzenden, sondern selber verantwortlich und entscheidungsbereit ist. In jedem Fall aber sollte er selbst nicht seine Existenz und seinen Verbleib einem vergleichbaren Wiederbesetzungsproblem oder einer eingeschränkten Wechselbereitschaft seitens des Nominierungsausschusses und der eigenen Hauptversammlung verdanken – wie dies augenscheinlich in einem sehr prominenten deutschen Finanzinstitut schon seit geraumer Zeit der Fall zu sein scheint.