Der Aufsichtsrat
Corporate Governance braucht eine „digital culture“

Corporate Governance braucht eine „digital culture“

Brian Stafford

Brian Stafford
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Der digitale Wandel schafft vielerlei Chancen: Die Automatisierung von Produktionsstrecken etwa führt zu mehr Effizienz, die umfassendere datenbasierte Analyse sorgt für mehr Sicherheit und Transparenz der Abläufe. Auch für die Corporate Governance ist die Digitalisierung ein Gewinn, schließlich werden Kollaboration und Kommunikation in den Gremien durch moderne Technologien orts- und zeitunabhängiger. Dem gegenüber stehen diverse Herausforderungen, mit denen Aufsichtsräte und andere Gremien konfrontiert werden: Die zunehmende Menge an Informationen sowie die Geschwindigkeit ihrer Verbreitung, Bedrohungen durch Cyberattacken und steigende Anforderungen in Sachen Compliance sorgen dafür, dass die Digitalisierung Chefsache sein muss. Die pure Akzeptanz oder das Delegieren entsprechender Maßnahmen an andere Abteilungen und Unternehmensebenen reichen nicht aus.

In der Diskussion um eine Änderung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) spielen Digitalisierung und Technologie aber nur eine marginale Rolle. Die Vorschläge der Kommission zeigen, dass die positiven wie negativen Folgen des technischen Fortschritts nicht in vollem Umfang erkannt, zumindest nicht adressiert werden. Mein Eindruck aus der Ferne: Statt zukunftsgewandt zu gestalten, sollen Gremien eher konservierend verwalten. So kommt es, dass Unternehmen Gefahr laufen, modernen Anforderungen nicht gerecht zu werden. Um unabhängig von den Vorgaben des Kodex den kulturellen Change-Prozess im Zuge der Digitalisierung selbst zu vollziehen, rate ich Aufsichtsräten, auf eine „digital culture“ hinzuwirken. Denn entscheidender als die Umsetzung von Maßnahmen ist das Umdenken in den Köpfen. Hier scheitern Digitalisierungsinitiativen am häufigsten.

Unter den Begriff „digital culture“ fallen alle Aspekte der Unternehmenskultur, die durch digitale Technologie unterstützt, optimiert oder bedingt werden. Die Etablierung einer solchen Kultur kann nicht „top down“ beschlossen und durchgesetzt werden. Aber: Manager, Vorstände und Aufsichtsräte müssen gleichermaßen ihrer Vorbildwirkung gerecht werden und Treiber der Bewegung sein. Sobald der Aufsichtsrat sich selbst digitalisiert hat, kann eine Reihe von Folgeprojekten mit Strahlkraft nach außen angestoßen werden. Auch kann die interne IT-Abteilung digital fitte Gremienmitglieder wesentlich besser unterstützen und stärker mit ihnen interagieren. So werden unternehmensweite Change-Prozesse glaubwürdig „von oben“ angeleitet, technisch gestützt und die Erfolgschancen erhöht.

Das Aufräumen mit veralteten Workflows, die im schlimmsten Fall ein Sicherheitsrisiko für das gesamte Unternehmen darstellen, ist die Grundlage einer „digital culture“ in Aufsichtsräten und damit eines modernen Verständnisses von guter, effizienter und effektiver Corporate Governance. Klassische Prinzipien, denen Governance-Experten folgen, sind etwa Transparenz, Effizienz, Kontrolle, Risikomanagement sowie die Verbesserung von Prozessen und Strukturen. Je detaillierter ein Regelwerk wie der DCGK wird, desto bürokratischer wird die Unternehmensführung. Das kann in Zeiten agilen Managements niemandes Interesse sein. Dazu kommt, dass der moderne Arbeitsstil von Top-Managern nicht auf ein Büro oder bestimmte Arbeitszeiten beschränkt ist. Dies gilt insbesondere für Aufsichtsräte. Umso wichtiger ist es da, den Aufgaben im Rahmen der Corporate Governance möglichst effizient und effektiv nachzukommen, sprich: sich auf die Nutzung digitaler Hilfsmittel einzulassen. Auch sie sind Teil der „digital culture“.

Viele Gremien meinen, dass die Berufung vergleichsweise junger, digitaler Köpfe in die Aufsichtsräte reiche, um den digitalen Wandel zu personifizieren. Tatsächlich eignet sich die Aufnahme von Digital-Experten, um das Kompetenzprofil des Aufsichtsrats zu ergänzen. Es ist jedoch nie damit getan: Aufsichtsräte und generell Mitglieder von Führungsgremien können Veränderungen nur dann bewirken, wenn sie bei sich selbst anfangen. Sie müssen in Sachen Digitalisierung vorangehen, zunächst ihre Einstellung verändern wollen, den eigenen Beitrag zum Unternehmenserfolg hinterfragen und sich neu positionieren. Das ist der Kern einer „digital culture“, die die Corporate Governance verbessert.