Der Aufsichtsrat
Vorstandshaftung bei fehlender Zustimmung des Aufsichtsrats

Vorstandshaftung bei fehlender Zustimmung des Aufsichtsrats

Prof. Dr. Mark K. Binz

Prof. Dr.  Mark K. Binz
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Das „Schloss Eller“-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10.07.2018 (s. auch „Der Aufsichtsrat“ 2018, S. 180, in diesem Heft) ist für jedes Aufsichtsratsmitglied, aber auch für jeden Vorstand Pflichtlektüre. Die Urteilsgründe lesen sich streckenweise wie ein Lehrbuch und sind auch für einen (vorgebildeten) Nicht-Juristen verständlich. Der Sachverhalt ist ein Klassiker: Der Vorstand schließt einen zustimmungspflichtigen Vertrag, stimmt sich aber nur mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden ab. Am Ende wird der Vorstand wegen Kompetenzüberschreitung auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagt.

Selbstverständlich ist zunächst, dass die Zustimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht genügt; dieser ist nur Primus inter Pares. Erforderlich ist vielmehr ein förmlicher Aufsichtsratsbeschluss. Das ist vor allem bei einer Familien-AG relevant, bei der die förmliche Trennung zwischen Hauptversammlung (Familie), Aufsichtsrat und Vorstand nicht immer respektiert wird. Klar ist aber auch, dass der Aufsichtsrat vorher gefragt werden muss und nicht hinterher. Eine nachträgliche Genehmigung wäre sogar wirkungslos! Die üblichen Zustimmungsvorbehalte gem. § 111 Abs. 4 AktG sind nämlich Instrumente vorbeugender Kontrolle des Aufsichtsrats, um Maßnahmen des Vorstands, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, von vornherein zu unterbinden. Man kann daher jeden Vorstand nur davor warnen, auf eine nachträgliche Zustimmung des Aufsichtsrats zu spekulieren. Selbst wenn diese erteilt würde, könnte sie seine Kompetenzüberschreitung nicht heilen.

Ein interessantes Hintertürchen lässt der BGH allerdings offen: Hiernach kann sich ein Vorstand auf den Einwand des sog. rechtmäßigen Alternativverhaltens berufen, also darauf, dass der Aufsichtsrat, wäre er rechtzeitig gefragt worden, zugestimmt hätte. Diese Ansicht ist freilich umstritten. Einige Rechtswissenschaftler vertreten die Auffassung, dass dadurch die Abschreckungswirkung für einen bewussten Verstoß gegen Kompetenzregeln entfiele. Exakt aus diesem Grund versagt der BGH diesen Einwand dem Arzt, der einen Patienten operiert, ohne ihn zuvor über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt zu haben, verurteilt ihn also im Zivilverfahren zum Schadensersatz bzw. im Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Außerhalb solcher Arzt-Haftungsfälle will der BGH aber keinen „Straf-Schadensersatz“ kreieren, wie er im amerikanischen Verbraucherschutzrecht zu Abschreckungszwecken bekannt ist.

Die Zulässigkeit dieses Einwands ist aber keineswegs ein Freibrief – im Gegenteil! Zunächst trifft den verklagten Vorstand die volle Darlegungs- und Beweislast. Damit die Entlastung gelingt, muss der sichere Nachweis erbracht werden, dass derselbe Schaden in jedem Fall auch so eingetreten wäre. Die bloße Möglichkeit, ja selbst Wahrscheinlichkeit, genügt also nicht. Der Einwand zieht ferner nicht, wenn der Aufsichtsrat im Fall seiner Zustimmung seinerseits pflichtwidrig gehandelt hätte.

Wie aber soll im Streitfall hypothetisch ermittelt werden, wie der Aufsichtsrat mehrheitlich entschieden hätte, wenn sich doch seine Mitglieder auf die Business Judgement Rule, also auf einen relativ großen unternehmerischen Handlungsspielraum, berufen können? Klar sind die Sonderfälle, in denen den Aufsichtsrat eine Zustimmungspflicht getroffen hätte. In allen anderen Fällen wird ein Gericht aber nicht umhinkommen, jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied nach seinem hypothetischen Abstimmverhalten zu befragen. Dem damit einhergehenden Prozess- und Kostenrisiko sollte sich kein Vorstand bewusst aussetzen, zumal bei einem fehlgeschlagenen unternehmerischen Engagement (z.B. Investition) im Rückblick wohl kaum ein Aufsichtsratsmitglied zugeben dürfte, dass es, wäre abgestimmt worden, für die gescheiterte Maßnahme gestimmt hätte.

Das jüngste BGH-Urteil setzt neue Maßstäbe für das hochkomplexe Zusammenspiel zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, indem es die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze des Schadensersatzrechts konsequent auf die Haftung von Vorstandsmitgliedern überträgt. À la bonne heure!