Der Aufsichtsrat
Aufsichtsräte zweiter Klasse?

Aufsichtsräte zweiter Klasse?

Univ.-Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen

Univ.-Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen
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Die steuerrechtliche Würdigung wirtschaftlicher Vorgänge überrascht regelmäßig nicht nur den Laien, sondern immer wieder auch mit der fiskalischen Sichtweise Vertraute. So hat vor geraumer Zeit die Qualifikation eines im Auftrag einer Großbank tätigen Geldboten, der kofferweise Schwarzgeld (abzüglich eines nicht vereinbarten geringfügigen „Selbsteinbehalts“) in ein kleines benachbartes Fürstentum zu überbringen hatte, als „gewerblich Tätiger und umsatzsteuerpflichtiger Unternehmer“ einiges Aufsehen erregt. Dagegen irritiert die standardmäßige und im Einzelfall für Überraschungen sorgende steuerliche Umwidmung wenig erfolgreicher wirtschaftlicher Aktivitäten in „Liebhabereien“ nur mehr sehr unbedarfte Steuerzahler.

Vor diesem Hintergrund verwundert kaum (aber verwirrt umso mehr), dass auch die Tätigkeit der Aufsichtsräte von steuerlichen „Umqualifizierungen“ nicht verschont bleiben soll – so zumindest nach Auffassung der Oberfinanzdirektion Frankfurt/M. (OFD). In seiner Verfügung vom 04.04.2014 bestätigt das hochmögende Amt zunächst, dass „Einnahmen, die Steuerpflichtige aus der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied beziehen, ... als sonstige Leistung der Umsatzsteuer (unterliegen)“.

Von dieser Regelbesteuerung will aber die OFD diejenigen Beamten und anderen Bediensteten, einschließlich Minister und Staatssekretäre, befreit sehen, „die diese Tätigkeit auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung ihres Dienstherrn übernommen haben und … verpflichtet sind, die Vergütung ganz oder teilweise an den Dienstherrn abzuführen“. Deren Aufsichtsratsvergütung soll namentlich nicht der Umsatzsteuer unterliegen, weil „in diesen Fällen .. die Aufsichtsratstätigkeit in so engem Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis (steht), dass sie als Teil der unselbstständigen Tätigkeit angesehen werden muss (!)“. Der aktienrechtlich Beschlagene wird dazu neigen, diese Sicht der Dinge als Fiskal-Prosa zu werten. Aber was hier möglicherweise im Kleid einer fiskalischen Marscherleichterung für im Ergebnis für Gotteslohn als Aufsichtsräte arbeitende Beamte und andere entsendete Lastenträger daherkommt, hat einen mehr als diskussionswürdigen, demnächst wohl gerichtsmäßigen groben Webfehler. Zwingende Voraussetzung für die hier thematisierte Umwidmung eines gesellschaftsrechtlich unstreitig unzutreffenden „Berufsbilds“ des Aufsichtsrats ist die amtliche Festsetzung, dass es zwei Klassen von Aufsichtsratsmitgliedern geben soll: solche, die unabhängig (und daher auch mit umsatzsteuerlicher Wirkung unternehmerisch) tätig sind, und solche, die wegen ihrer (zwingenden) Bindung an Weisungen und Willen ihrer Dienstherren ein „Aliud“ zum einschlägigen Überwachungsträger der Spezies Aufsichtsrat zu bilden scheinen – so jedenfalls die Sicht der OFD.

Binnewies/Ruske haben verdienstvollerweise bereits auf dieses gesetzesmissachtende Zerrbild der hessischen Steuerjuristen hingewiesen (AG 2018, S. 315 ff.). Ihr Verweis auf einen vom FG Münster (Urteil vom 26.01.2017 – 5 K 1419/16 U, n.rkr.) entschiedenen Fall zeigt unmissverständlich die auch hier letztlich erkenntnisführende Leitlinie auf: „Der Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats in einer abhängigen Gesellschaft ist nicht anders zu sehen als in einer unabhängigen Gesellschaft“. Im konkreten Streitfall hatte ein Steuerpflichtiger als Konzernmitarbeiter in einem Tochter-Aufsichtsrat die hier von der OFD bemühte Umsatzsteuerfreiheit seinerseits für sich reklamieren wollen.

Fast analog muss diesbezüglich aber die unabhängige und weisungsfreie Tätigkeit eines Aufsichtsrats ungeachtet seiner Stellung oder der Funktion des ihn promovierenden Wahlkörpers berücksichtigt werden. Maßgeblich ist allein die Aufsichtsratstätigkeit auf der Grundlage der geltenden Gesetze. Und diese sehen für keinen Wähler, Entsendungsberechtigten oder „Dienstherrn“ eine rechtlich zulässige Einflussnahme vor. Vor diesem Hintergrund erscheint nicht unbeachtlich, dass die FG-Richter ihrerseits verlauten lassen, dass, „ob die Auffassung der OFD … rechtlich haltbar ist, .. dahinstehen (kann).“ Theoretisch könnte auch eine Umsatzsteuerbefreiung beider, argumentativ bedingt vergleichbarer Sachverhalte in Betracht kommen; so lautet das Plädoyer von Binnewies/Ruske: „Ungleichbehandlung … ist nicht zu rechtfertigen“. Die Ungleichbehandlung, und zwar eine m.E. gesetzeswidrige, liegt aber darin, dass zwei Klassen von Aufsichtsräten (umsatzsteuerlich) kreiert werden sollen. Und das ist funktionell und gesellschaftsrechtlich schlicht falsch – und zudem ggf. eine haftungsbewehrte Pflichtverletzung der Mandatsträger.