Der Aufsichtsrat
Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen (können)

Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen (können)

Univ.-Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen

Univ.-Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen
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Schon mehrfach wurde an dieser Stelle auf die Tatsache verwiesen, dass der deutsche Aufsichtsrat seit mehr als 150 Jahren keinen gesetzlichen Vergütungsanspruch hat. Selbst die Erstattung seiner Auslagen – wie Reise-, Hotel- und Verpflegungskosten – findet im Aktienrecht keinerlei explizite Erwähnung. Sogar der Ausbau der Mitbestimmung in den großen deutschen Kapitalgesellschaften durch das MitbestG 1976 hat diesbezüglich keinerlei Veränderung gebracht. So muss bezüglich der Auslagen auf den allgemeinen Erstattungsanspruch nach §§ 675, 670 BGB verwiesen werden, jede Vergütung obliegt dem Satzungsgeber bzw. der HV-Beschlussfassung nach freiem Ermessen. Allein der Steuergesetzgeber sorgt seit 1906 dafür, dass Honorarzahlungen an Aufsichtsratsmitglieder nur zur Hälfte als steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben angesetzt werden dürfen: kein Vergütungsanspruch, aber im Fall einer Honorierung eine verschärfte Besteuerung – so das aktuell geltende Recht.

Diese m.E. systemwidrige Gesetzeslage lässt sich (bestenfalls) historisch begründen: Die Aufsichtsratsarbeit galt lange als ehrenamtliche Tätigkeit, deren Wertschätzung mehr in der Ernennung und pfleglichen Behandlung der berufenen Persönlichkeiten als in einem geldwerten Austausch- und Leistungsverhältnis gesehen wurde. Zumindest als insoweit konsequent kann man bezeichnen, dass die gesamte Finanzierung des Aufsichtsrats einschließlich seiner für die Überwachungsarbeit und -funktion erforderlichen Geld- und Sachmittel letztlich bei gewissenhafter juristischer Prüfung dem Vorstand und dessen Ermessen überantwortet sind. Er ist der „oberste Kassenwart“ der AG und als solcher nicht nur im technisch-buchhalterischen Sinne, sondern eben auch im materiellen Sinne Wahrer und Treuhänder des Gesellschaftsvermögens.

Dessen ungeachtet haben sich die Funktion, namentlich aber die Pflichten und gesetzlichen Aufgaben des Aufsichtsrats gewaltig geändert. Ein aktiver Aufsichtsrat ist nicht nur kraft Gesetzes für die Auswahl und Vergütung des Vorstands sowie des Abschlussprüfers verantwortlich, er beauftragt auch weitere Sonderprüfungen, Vergütungs- und Rechtsgutachten sowie Sachverständige und Experten, soweit dies für seine Überwachungsaufgabe erforderlich erscheint. Für all diese Tätigkeiten – so eindrucksvoll bestätigt durch eine sehr verdienstvolle aktuelle Dissertation von Scherb-Da Col (s. „Der Aufsichtsrat“ 2018, S. 135) – stehen dem Aufsichtsrat weitgehend nur abgeleitete Vertragsabschluss- und Finanzierungsrechte („Annexkompetenzen“) zur Verfügung. Im Kern dominiert die Alleingeschäftsführungskompetenz des Vorstands, so auch die mehrheitliche Literaturmeinung dazu – bisher.

Jüngst hatte der BGH einen kuriosen Fall zu entscheiden (s. „Der Aufsichtsrat“ 2018, S. 93): Ein Aufsichtsrat hatte eine Sonderprüfung bestellt, aber nur rund ein Zehntel des (unstreitigen) Prüfungshonorars gezahlt. Als Beklagter machte der Aufsichtsrat dann geltend, für diese Beauftragung (und gerichtliche Inanspruchnahme) nicht vertretungsberechtigt zu sein; im konkreten Verfahren verweigerte der Vorstand die (mögliche) Zustimmung zu diesem Prüfungsauftrag. Soweit der Sachverhalt veröffentlicht ist, drängt sich der Eindruck auf, hier haben Vorstand und Aufsichtsrat in kollusivem Zusammenwirken zugunsten ihrer Gesellschaft und zulasten des sein Honorar einfordernden Prüfers die aktuell – wie einleitend dargestellt – wenig überzeugende Rechtslage zur eigenverantwortlichen Finanzierung von Aufsichtsratsaufgaben ausgenutzt, um zumindest einen Aufschub der Zahlungsverpflichtung zu erreichen. In diesen Kompetenzstreit hat der BGH sehr klar eingegriffen: Er leitet aus dem „auslegungsbedürftigen Wortlaut“ des aktienrechtlichen Organgefüges ab, dass dem Aufsichtsrat immer dann eine eigene Vertretungskompetenz, neben der des Vorstands, zukomme, wenn es um die störungs- und einwendungsfreie Ausübung der Aufgaben als Überwachungsorgan geht. Dies ist ein Aufruf, binnenorganisatorisch verstärkt über ein Aufsichtsratsbudget mit eigener Kostenverantwortung nachzudenken und aktienrechtlich die Finanzierung und Ausstattung des Aufsichtsrats auf eigene Beine zu stellen. Der englische Volksmund weiß: „Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen“ – können!