Der Aufsichtsrat
Beredtes Schweigen

Beredtes Schweigen

Univ.-Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen

Univ.-Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen
hbfm_ar_2018_06_0081_a_1270351_a001.png

Seit 16 Jahren berichtet mit ungebrochener Regelmäßigkeit die „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ auf einer ausnahmslos hochrangig besetzten Kodex-Konferenz über ihre Arbeit am und zum DCGK, der 2002 erstmals veröffentlichten Variante eines „freiwilligen“ Regelwerks zur „Guten Unternehmensführung und -überwachung“ nach dem Motto „Von der Praxis für die Praxis“. Keine Geringere als die jeweils amtierende Bundesministerin der Justiz – zuletzt erstmals ein Minister – ließen es sich nehmen, diesem Event mit einem Grußwort persönlich die gebotene Ehre zu erweisen.

Der Kodex für gute Unternehmensführung und -überwachung aber polarisierte schnell und die Begeisterung der diesem Homunkulus fast blind Folgenden sank vielfach schneller, als die erkannten Mängel in 12 Verbesserungsrunden korrigiert werden konnten. Dementsprechend wurde von mir im Jahr 2015 die (verbale) Verlegung des Kodex auf die Intensivstation konstatiert. Durch den zuletzt von der Kommission zum Schutzpatron des Regelwerks berufenen „Ehrbaren Kaufmann“ konnte das Siechtum nur in die Verlängerung geschickt werden.

Auf der DCGK-Jahreskonferenz 2017 zeichnete sich ab, was mit einigem Erwartungsoptimismus als ein kleines medizinisches Wunder bezeichnet werden müsste: Der neue Kommissionsvorsitzende Rolf Nonnenmacher nutzte seine Premiere. Er kündigte an, was Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder aufhorchen lassen sollte: Der Kodex soll grundlegend überarbeitet werden.

Der „Job“ ist alles andere als einfach. Nicht nur die Bewahrer und Bedenkenträger müssen abgeschüttelt werden. Eine möglicherweise noch größere Gefahr geht von den internationalen, recht kreglen Zaungästen der Corporate Governance-Diskussion aus, die sich als Krankenpfleger an das Bett des Patienten zu schleichen nicht nachlassen werden: Unter der grünen Kittelschürze werden sie „Verboardisierungsinfusionen“ ebenso verbergen wie schlichtes Klientel-Aufputschmittel à la Investorengespräch, gemeinsame Strategieverantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat und weitere Verlockungen aus der „Board-System“-Wunderkiste – so meine Mitte 2017 geäußerten Bedenken.

In eher dürren Zeilen hat in diesem Frühjahr der DCGK-Vorsitzende Nonnenmacher im Namen der Regierungskommission eine Konferenzpause angekündigt und dies mit dem Bedürfnis für eine verlängerte Konsultationsphase begründet: „Eine Kodex-Konferenz … würde aufgrund des Formats in der aktuellen Phase der Arbeit am und der Diskussion über den Kodex keinen echten Mehrwert versprechen“. Trotz des sehr knappen Textes weist Nonnenmacher in fast gleichlautender Formulierung überraschenderweise zwei Mal darauf hin, dass ihm weitere Gespräche mit „Emittenten, institutionellen Investoren und weiteren Experten“ besonders wichtig sind und dass auch mit „passiv verwalteten Indexfonds“ die Diskussion eröffnet werden sollte.

Es darf sicher unterstellt werden, dass die Gesprächsbereitschaft und das Interesse der hier vom DCGK-Vorsitzenden Zitierten sowohl zeitlich als auch inhaltlich nahezu unbeschränkt sein dürften – in jedem Fall kann diesbezüglich schwerlich eine unüberwindbare Hürde bzw. verschiebungsbegründende Verzögerungstaktik vermutet werden. Vielmehr ist zu befürchten, dass die bei diesen Bemühungen zu unterstellende, sehr einseitige Ausrichtung am Kapitalmarkt und dessen Interessenträgern die noch verbliebenen Anhänger eines interessenpluralistisch ausgerichteten und ausgestalteten Kodex-Ansatzes in einen passiven oder sogar aktiven Widerstand treibt.

Ein derartiges Verhalten könnte sich zudem auch als Reaktion auf eine jüngst verstärkt beobachtbare Tendenz bei einigen sehr namhaften Gesellschaftsrechtlern erweisen, dem „Zeitgeist“ auf dem Gebiet der internationalen Corporate Governance-Diskussion zunehmend Folge leisten zu wollen. Die aus verschiedenen Richtungen dabei insbesondere gerne thematisierten „begrenzten Markt- und Zukunftschancen“ des tradierten (deutschen) Vorstands-/Aufsichtsratsmodells werden dabei möglicherweise – noch kaum hörbar – mit einer alten Western-Melodie unterlegt: „Spiel mir das Lied vom Tod“.