Der Aufsichtsrat
Weniger Vorschriften, mehr Vertrauen

Weniger Vorschriften, mehr Vertrauen

Dr. Sebastian Biedenkopf

Dr. Sebastian Biedenkopf
hbfm_ar_2018_04_0049_a_1266585_a001.png

Stimmen wir nicht alle darin überein, dass es zu viele Vorschriften gibt, die Unternehmertum lähmen und unsere Wettbewerbsfähigkeit behindern? Offenbar nicht, denn anders ist nicht zu erklären, dass auch die neue Bundesregierung das Wachstum des Regelgestrüpps nach allen Kräften fördern will. Unverändert kraftvoll unterstützt wird sie dabei von der Brüsseler Bürokratie. Unternehmen und ihre Verbände begehren zwar regelmäßig dagegen auf, aber mit mäßigem Erfolg. Und nicht immer gehen sie mit gutem Beispiel voran, denn auch in Unternehmen gibt es die Tendenz, die internen Regelwerke permanent auszubauen und zu verfeinern.

Alle Beteiligten sind damit auf dem Holzweg. Das gilt insbesondere für neue Vorschriften, mit denen die Regulierenden versuchen, Fehlentwicklungen der Vergangenheit aufzuarbeiten und ihre Wiederholung zu verhindern. Derartige Vorschriften sind zunehmend kleinteilig und interventionistisch. Die Ordnungsfunktion des Rechts gerät so zunehmend aus dem Blickfeld. In gleichem Maße verliert die Regulierung an Akzeptanz bei den Adressaten. Die Bereitschaft, sich regeltreu zu verhalten, sinkt insgesamt.

Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Unternehmensführung, aber auch die dadurch erzeugte Schwerfälligkeit einschließlich der damit verbundenen Kosten reduzieren die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Deshalb muss es zu einer grundsätzlichen, umfassenden Deregulierung im Sinne einer Entschlackung kommen. Gelingen kann dies nur, wenn man sich darauf besinnt, dass es neben Regulierung in den Unternehmen auch noch einen faktischen Ordnungsrahmen gibt, der durch soziale Normen, Werte und die daraus abgeleiteten Verhaltensweisen gebildet wird – die Unternehmenskultur. Wenn sie ausreichend ausgebildet ist, prägt sie das Verhalten und die innere Einstellung der Akteure. Für die Qualität der Unternehmensführung ist sie von wesentlich größerer Bedeutung als Rechtsnormen oder die niedergeschriebenen internen Regeln.

Wichtiges Element der Unternehmenskultur ist die Bereitschaft der Führungskräfte und Mitarbeiter, Verantwortung zu übernehmen und Transparenz zu schaffen. Überregulierung wirkt dieser Bereitschaft entgegen:

  1. Ein Übermaß an Regulierung reduziert das Ermessen der Führungskräfte, ihr Spielraum wird eingeschränkt. Diese Einschränkung empfinden sie als Ausdruck eines Misstrauens. Ihre Fähigkeit und Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, nehmen ab. Wer in einem engen Regelungsrahmen arbeitet, verspürt kein großes Bedürfnis, verantwortlich zu sein. Denn die Wahrscheinlichkeit, Regeln zu verletzen, steigt mit der Regelungsdichte.

  2. Die Bedeutung von Ermessen wächst mit der Komplexität einer Situation oder Aufgabe. Denn je komplexer eine Situation oder Aufgabe, umso weniger vorhersehbar ist ihre Entwicklung. Damit verringert sich auch die Planbarkeit ihrer Bewältigung. Vorschriften hingegen basieren auf Erfahrung, auf „lessons learned“. Gute Regeln sollten deshalb allgemeingültig sein und auch bei unerwarteten Entwicklungen noch Anwendung finden können. Je kleinteiliger Regulierung ist, desto weniger kann sie diesen Anspruch erfüllen.

  3. Regulierung erfordert Kontrolle, also müssen mehr Regeln auch zu mehr Kontrolle führen. Ein Zuviel an Kontrolle zerstört aber Vertrauen, da sich die Betroffenen bei zu viel Kontrolle einem Misstrauen ausgesetzt sehen. Misstrauen empfindende Führungskräfte werden deshalb ihrerseits dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat weniger Vertrauen entgegenbringen. Es entsteht eine Kultur des Misstrauens, mit negativer Auswirkung auf die Bereitschaft des Einzelnen, Verantwortung zu übernehmen. Auch auf die Bereitschaft, Transparenz zu schaffen, wirken sich diese Mechanismen negativ aus.

Aufsichtsräte, Vorstände und Führungskräfte sollten deshalb wieder stärker auf die positive Wirkung von Vertrauen bauen. So können sie Kräfte freisetzen und einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Vertrauensbasierte Führung mag gegen den Trend sein und Mut erfordern. Doch wenn die positiven Effekte einer solchen Unternehmenskultur sichtbar werden, setzt sich vielleicht auch bei den Regierenden und Regulierenden die Erkenntnis durch, dass es Zeit für ein Umdenken ist.