Der Aufsichtsrat
Aus der Welt der Wirtschaft in den gemeinnützigen Aufsichtsrat

Aus der Welt der Wirtschaft in den gemeinnützigen Aufsichtsrat

Prof. Martin Beck

Prof. Martin Beck
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Wenn ein Unternehmer oder eine Führungskraft aus der Wirtschaft durch die Pforten einer gemeinnützigen Organisation tritt, dann erwacht er in einer anderen Welt. Ganz so ist es nicht, aber es ist etwas dran. Was wir heute als „Unternehmen“ der Sozialwirtschaft, des Gesundheitswesens, der Kultur, des Schulwesens oder anderer gesellschaftlicher Bereiche kennen, das ist aus zwei Traditionssträngen zusammengewachsen. Strang eins führt zu den idealistischen Anfängen sozialer, kirchlicher oder sonstiger gemeinnütziger Tätigkeiten zurück, wo Geld keine Rolle spielen sollte und der Mensch oder die gute Sache im Mittelpunkt standen. Bei Strang zwei handelt es sich um die heutigen Vorstellungen von Management, von Wirtschaftlichkeit und von Strategien. Dass diese beiden Traditionsstränge nicht schadensfrei zusammengeführt werden können, liegt auf der Hand.

Wenn nun also unser Unternehmer den Sitzungsraum eines gemeinnützigen Aufsichtsrats betritt, dann löst das bei ihm und bei den Anwesenden Erwartungen und Befürchtungen aus. Sozial- und Kirchenleute stehen Unternehmern und Managern mit einer teils romantischen und teils kritischen Erwartung gegenüber. Die romantische Seite sieht den Unternehmer als tapferen und siegreichen Helden, von dem das eigene gemeinnützige Unternehmen nur lernen kann. Bei der kritischen Seite wird dieser Aspekt durch nebulöse Meinungen über Märkte und Welthandel überlagert.

Ist diese Hürde geschafft und sind erste Freundlichkeiten ausgetauscht, dann geht es nüchtern zur Sache. Protokoll der letzten Sitzung, Bericht des Vorstands oder der Geschäftsführung (gerne schon vorab in Schriftform), Vorstellung neuer Aufgabenfelder, die der Vorstand eröffnen möchte, Controlling-Bericht, Soll-Ist-Vergleich der Quartalszahlen. Alles fast wie zu Hause. Nur dass all diese Strategien und Zahlen für Menschen erzeugt werden, die auf irgendeine Weise Hilfe, Erziehung, Pflege, Betreuung, ärztliche Kunst, Arbeit, Therapie oder Schutz brauchen. Der „Kunde“ ist häufig nicht frei in seinen Entscheidungen oder er kann sie gar nicht alleine treffen. An seine Stelle treten dann Familienangehörige oder Fachbehörden wie Jugendamt oder Gesundheitsamt. Sie können zugleich fachliche Aufsicht und Kunde im Sinne von Beauftragung und Zahlungsverpflichtung sein. Dieser Aspekt, wonach die Leistung immer einen konkreten Menschen meint, der schon da ist und der den Akteuren oft auch persönlich bekannt ist, zieht sich durch alle Tätigkeiten und Überlegungen. Wenn er aus dem Blick gerät, dann ist das Unternehmen in Gefahr, seine Seele zu verlieren. Wenn er sich aber vor alle nüchternen geschäftlichen Aspekte drängt, dann tritt der Risikofall ein. Denn auch unter dem Schutz der Gemeinnützigkeit gelten die Regeln des Bilanz- und des Insolvenzrechts. Das Stichwort Gemeinnützigkeit wird immer wieder auftauchen. Es ist aus unternehmerischer Sicht zugleich Segen und Fluch, weil es einerseits mit Steuerprivilegien verbunden ist und andererseits Einschränkungen in der Mittelverwendung mit sich bringt.

Im Aufsichtsrat wird unser Unternehmer auf Menschen mit bunten Berufen treffen. Sozialpädagogen, Lehrer, Psychologen und Pfarrer treten dort in Gruppen auf. Sie sind meist hochengagiert und von ihrem Beruf und dessen Rahmenbedingungen geprägt. Sie kommunizieren ganz anders als beispielsweise Ingenieure, sie beziehen ihre Motivation nicht aus dem erzeugten Gewinn und sie sind im besten Sinne des Wortes Überzeugungstäter.

Unser Unternehmer wird in den ersten Sitzungen immer wieder in kleine Identitätskrisen geraten, weil er den Zusammenhang zu seiner beruflichen Erfahrungswelt nicht immer sofort erkennen kann. Aber mit jeder Stunde wird er mutiger. Themen kehren wieder. Mit jeder Frage und jeder guten Antwort versteht er besser, was hier gespielt wird. Und eines Tages stellt er fest, dass er sich auf die nächste Aufsichtsratssitzung freut, auf die Begegnung mit dieser anderen, aber irgendwie sympathischen Welt und auf den Spagat zwischen Business und Menschenfreundlichkeit.

Wenn unser Unternehmer diesen Punkt erreicht hat, dann wird er sein neues Ehrenamt nicht mehr missen wollen.