Der Aufsichtsrat
Rote Ampeln für den Aufsichtsrat

Rote Ampeln für den Aufsichtsrat

Univ.-Prof. (em.) Dr. Dr. Manuel R. Theisen

Univ.-Prof. (em.) Dr. Dr. Manuel R. Theisen
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Die Straßenverkehrsordnung kennt unter § 37 StVO (Wechsellichtzeichen) die Bestimmung: „Rot ordnet an: `Halt vor der Kreuzung´“. Eine Bestimmung, die auch den meisten Aufsichtsräten durchaus vertraut sein sollte. Die Farbfolge „Rot-Gelb-Grün“ begegnet vielen Gremienmitgliedern aber nicht nur im Straßenverkehr – den nicht wenige überwiegend aus dem privacy-verglasten Fond ihrer häufig chauffierten Limousinen höchstens im Ausnahmefall wahrnehmen werden. Nein, dieser farbliche Dreiklang hat schon lange den Weg in Aufsichtsrats-Informationssysteme gefunden. Mit diesem Kunstgriff in das Alltagsleben soll offenbar dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied die Erkenntnis vermittelt werden, seine Überwachungsaufgabe sei ebenso kinderleicht zu erlernen und vor allem zu vollstrecken wie das von Kindesbeinen an einstudierte „stehen bleiben bei rot – gehen bei grün“. Rote Ampeln sind also dem Gros der deutschen Aufsichtsräte bekannt und deren „message“ vertraut. Daher überrascht – vielleicht aber nur mich –, dass in der jüngeren Vergangenheit funktionsspezifische rote Ampeln von nicht wenigen Aufsichtsratsmitgliedern und auch kompletten Aufsichtsratsgremien missachtet werden:

Rote Ampel Nr. 1: Der Aufsichtsrat ist ein Innenorgan, seine Funktion soll in der Öffentlichkeit daher (höchstens) durch erfolgreiches Kontrollhandeln und effizientes Überwachen des Vorstands „bekannt“ werden. Ein Blick in die Medien lehrt uns: Aufsichtsräte und bei Weitem nicht nur Vorsitzende solcher Gremien drängt es immer häufiger in die Medien, vor die TV-Mikrofone und in die „yellow press“ der Wirtschaft. „Klappe halten“ aber ist unverändert das Gebot der Stunde.

Rote Ampel Nr. 2: „Maßnahmen der Geschäftsführung können dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden“ (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Diese selten klare gesetzliche Bestimmung muss in Erinnerung gerufen werden angesichts der zunehmenden Tendenz, die Unternehmensstrategie als gemeinsame Hauptaufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat zu verstehen und zu behandeln. Der Deutsche Corporate Governance Kodex kann allerdings als „Steigbügelhalter“ für wohl verstandene Missverständnisse benannt werden. Seine Formulierung „Der Vorstand stimmt die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit dem Aufsichtsrat ab … “ (Ziff. 3.2 DCGK) kann dem (zu flüchtigen) Leser den Eindruck vermitteln, hier hätten die beiden Organe eine gemeinsame Führungsaufgabe und Verantwortung. Von einem solchen gemeinsamen Kraftakt ist der Gesetzgeber (und ihm sicher folgend der BGH) jedoch noch weit entfernt, die Praxis aber scheint den diesbezüglichen Wagen bereits über die rote Ampel weit in die Kreuzung eines „level playing field“ geschoben zu haben.

Rote Ampel Nr. 3: Eine weitere kollisionsfördernde Verhaltensweise ist ebenfalls durch die ursprüngliche Fassung des DCGK zumindest mitgefördert worden: „Die ausreichende Informationsversorgung des Aufsichtsrats ist gemeinsame Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat“ (Ziff. 3.4 Satz 1 DCGK bis 2014). Auf der Suche nach der passenden Information, (falsch) verstanden als gemeinsame Herausforderung, kann man die anhaltende Diskussion, inwieweit, in welchem Umfang und bis zu welcher Organisationstiefe der Aufsichtsrat und seine Ausschussmitglieder vorstandsunabhängig und -fern Informationen im Unternehmen zusammenklauben dürfen, zumindest nachvollziehen. Die Kollateralschäden dieses (Verkehrs-)Regelverstoßes unter Missachtung von arbeits- und weisungsrechtlichen Schranken sowie immanenten Kompetenzkonflikten sind noch lange nicht zu ermessen.

Rote Ampel Nr. 4: Aufsichtsratsmitglieder handeln persönlich, eigenverantwortlich und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Angesichts des allgegenwärtigen Funktions-Outsourcing z.B. bei der Vergütungsgestaltung, der Rechtsberatung, der Personalverantwortung und des Berichtswesens sowie der Vorratsbegutachtung potenziell haftungsgefährdeter Beschlusslagen besteht der Eindruck, dass auch diesbezüglich die „Rote Ampel“ der Eigenverantwortlichkeit nicht nur in Ausnahmefällen missachtet wird.

Wer schon einmal während der Karnevalszeit in Rio de Janeiro mit einem öffentlichen Bus gefahren ist, weiß: Der Bus fährt grundsätzlich bei allen roten Ampeln ungebremst über die Kreuzung. Man lernt, dass die Gefahr einer Kollision deutlich kleiner eingeschätzt wird als die, vor einer roten Ampel stehend kollektiv ausgeraubt zu werden. Von fremden Ländern lernen – eine bisher unbekannte Verhaltensweise deutscher Aufsichtsräte?