Der Aufsichtsrat
Grand Prix der Aktionäre

Grand Prix der Aktionäre

Dieter Fockenbrock

Dieter Fockenbrock
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Vielleicht ist es kein Zufall, dass inmitten der sogenannten Hauptversammlungssaison der Grand Prix de l‘Eurovision de la Chanson auf Sendung geht. Was heute neudeutsch Eurovision Song Contest (ESC) genannt wird, scheint mit dem wichtigsten Jahrestermin der Anteilseigner von Aktiengesellschaften mehr Ähnlichkeiten zu haben, als es einem angenehm sein kann. Ein Riesenspektakel, mit am Ende oft erschütternden Ergebnissen. Wem das Publikum nach spektakulären Bühnenshows zujubelt, der oder die landet noch lange nicht auf dem Siegespodest. Und wer den meisten Beifall in Messezentren, Stadthallen und sonstigen profanen Veranstaltungsorten kassiert, der hat noch lange nicht das Vernünftigste gesagt, was es auf dieser Hauptversammlung zu sagen gäbe.

Aktionärstreffen in Deutschland haben zweifellos wie der Song Contest einen hohen Unterhaltungswert. Aber haben sie auch einen Nutzen? Das wird seit Jahren bezweifelt. Von den „betroffenen“ Aufsichtsräten wie Vorständen, die das stundenlange Defilee der Aktionäre ertragen dürfen. Genauso aber auch von Anteilseignern, die wenigstens einmal im Jahr die Gelegenheit nutzen wollen, „ihre“ Repräsentanten in den Unternehmensgremien zur Rede zu stellen.

Während das Gesangsfestival der europäischen TV-Sender immer weiter abstürzt, scheint sich auf dem Hauptversammlungsparkett jedoch einiges zum Besseren zu wenden. Selbst wenn es statistisch nicht ganz valide ist, gefühlt sind noch nie so viele Hauptversammlungen von den Aktionären dazu genutzt worden, nicht nur offen Kritik zu üben, sondern durch Abstimmungsniederlagen vor allem den Aufsichtsräten der Unternehmen klar zu signalisieren: Wir sind die Eigentümer. Eine kleine Revolution für deutsche Verhältnisse.

Ob Volkswagen, SAP oder Münchener Rück. Die Vergütungssysteme der Vorstände haben eine Sprengkraft entwickelt, die größte Vorsicht empfiehlt. Dass selbst ein so erfolgreicher Manager wie SAP-CEO Bill McDermott mit seinem 14 Mio. €-Spitzenverdienst unter den DAX-Vorständen sich dieser Kritik stellen muss, verdient Respekt vor dem aufgewachten Aktionärswillen. Dabei haben die Anteilseigner ja eigentlich nur zwei recht schwache Instrumente an der Hand. Sie können Aufsichtsrat oder Vorstand die Entlastung verweigern. Oder sie lehnen das Vergütungssystem ab – wenn es denn überhaupt zur Abstimmung gestellt ist. Beides an sich keine scharfen Waffen. Ein Negativvotum hat keine formal greifbare Folge. Was bleibt, ist das Peinliche einer offenen Niederlage. Diese indirekte Sanktionierung scheint Wirkung zu entfalten. Vergütungssysteme werden reihenweise zurückgezogen.

Ausgerechnet in dieser doch eigentlich recht erfreulichen Phase drängen institutionelle Investoren darauf, Privatissima mit den Aufsichtsräten abzuhalten. Es reicht wohl doch nicht, auf den Hauptversammlungen die Stimme zu erheben – und anschließend den Stimmzettel. Auf Initiative mehrerer großer Investoren, darunter nicht unerwartet bekannte angelsächsische wie Hermes, hat sich gar die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex dazu drängen lassen, Investorengespräche in ihren Katalog aufzunehmen. Nicht gleich als Empfehlung, aber immerhin als Anregung für die Aufsichtsratsvorsitzenden. Und natürlich nur über „aufsichtsratsspezifische Themen“.

Mal abgesehen davon, dass es wohl selbstverständlich sein sollte, dass der Aufsichtsratsvorsitzende mit Investoren nur über Dinge redet, zu denen er etwas zu sagen hat. Das Thema Gleichbehandlung aller Aktionäre ist damit nicht vom Tisch. Im Gegenteil. Jetzt stellt sich erst recht die Frage, welchen Sinn Hauptversammlungen haben. Wollen die Investoren doch im Vorfeld kritische Punkte ausräumen. Damit es auf der Hauptversammlung gar nicht erst zum Showdown kommt.

Nun soll hier nicht der Eindruck entstehen, solche informellen Kontakte zwischen den Aufsichtsgremien und wichtigen Eigentümern seien per se schlecht und damit abzulehnen. Sie haben zweifellos das Gute, dass Aktionäre schon frühzeitig – und nicht erst zur Hauptversammlung – ihren Willen artikulieren können. Aber ist der Wille des amerikanischen Pensionsfonds identisch mit dem des Anlagefonds einer deutschen Sparkasse? Teilt der Privataktionär die Ansicht des Geldgebers vom Golf? Das muss geklärt sein. Sonst bleiben wir lieber beim Grand Prix der Aktionäre.